„Dieser Befristungsunsinn muss aufhören!“ - Über die Kampagne ‚Uni Kassel Unbefristet‘.

 

Ein Gespräch mit Frauke Banse. Frauke Banse arbeitet momentan als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Kassel

21.11.2018

Du bist in der Initiative „Uni Kassel Unbefristet“ aktiv. Auf eurer Homepage schreibt ihr: „Uni Kassel Unbefristet engagiert sich für die Entfristung von wissenschaftlich wie technisch-administrativen Beschäftigten an der Uni Kassel.“ Erzähl doch bitte etwas ausführlicher, wer seid ihr? Warum gibt es euch? Was sind eure Anliegen?

Inzwischen steht da zum Glück etwas mehr. Wir haben uns im Zuge des Warnstreiks  [Tarifauseinandersetzung Öffentlicher Dienst Hessen 2017] Anfang vergangenen Jahres zusammengefunden und dabei gemerkt, dass uns alle das Thema Befristung unserer Arbeitsverträge stresst und empört.

Es war klar, das betrifft sehr, sehr viele Kolleg_innen direkt, aber auch indirekt. Indirekt nämlich dann, wenn z.B. die Kolleg_innen in Verwaltung immer wieder neue Leute in die Abläufe einführen, zig Verträge ausstellen oder Vakanzen füllen müssen. Arbeitsverdichtung geht mit der Befristungsproblematik eng einher.

Das Kommen und Gehen ist auch für die Festangestellten zum Stressfaktor geworden. An der Uni Kassel sind ca. 90% des wissenschaftlichen Personals befristet beschäftigt, auch bei den Kolleginnen im technischen und administrativen Bereich ist die Befristung in vielen Bereichen ein großes Problem – und eben auch der Stress der Festangestellten.

Deswegen haben wir uns nach dem Warnstreik zusammengeschlossen und nach einigen Diskussionen die Kampagne Uni Kassel Unbefristet gegründet. Wir setzen uns für eine verbindliche Regelung ein, damit an der Uni Kassel wirklich umfassend entfristet wird.

Dieser Befristungsunsinn kann unmöglich so weitergehen.

Wir werden sowohl von der ver.di als auch von der GEW – den beiden Gewerkschaften am Campus – unterstützt. Viele von uns sind Gewerkschaftsmitglieder, aber wir sind keine Gewerkschaftskampagne im engeren Sinne, sondern bei uns sind auch viele aktiv, die keiner der beiden Gewerkschaften angehören.

 

Immer mehr werden dazu aufgefordert nach der Schule zu studieren. Das ist seit langem erklärtes Ziel mehrerer Bundesregierungen. Wie wirkt sich die gängige Befristungspraxis eigentlich auf die Lehre und für die Studierenden aus?

Das ist wirklich komplett absurd. Ich will es mal an meinem Beispiel verdeutlichen: Ich bin als sogenannte „Lehrkraft für besondere Aufgaben“ (LfbA) an der Uni Kassel angestellt. Allein die Funktionsbezeichnung ist schon ein schlechter Witz, an meinen Aufgaben ist null und nichts „besonders“ – ich gebe schlicht die von der Prüfungsordnung vorgesehenen Seminare, und das mit einem so hohen Lehrdeputat (Unterrichtsverpflichtung), dass ich die paar Prozent Forschungsanteil in meinem Vertrag faktisch nicht in der Arbeitszeit erfüllen kann und meine Seminare im Galopp vor- und nachbereiten muss. Mein jetziger Vertrag läuft erstmal noch ein Jahr. Endlich habe ich Routine in den Abläufen, ich verbessere kontinuierliche meine Seminare, baue Betreuungsbeziehungen zu den Studierenden auf. Aber bei der letzten Selbstevaluation dachte ich mir: wozu das eigentlich? Ich werde jetzt also noch zweimal meine Seminare verbessern  und dann bin ich eventuell entlassen. Ist doch verrückt. Schlimmer geht aber immer – ich bin noch auf einer relativ langfristig finanzierten Stelle. Es gibt Kolleg_innen, ebenfalls LfbAs aber mit noch höherem Lehrdeputat, die sachgrundlos befristet sind und nach bereits zwei Jahren wieder auf der Straße sitzen. Das ist Stress pur, kaum sind sie eingearbeitet, schon ist Schluss und wer neues muss sich durchwurschteln und kann´s ruhig Schlafen vergessen. „Qualität in der Lehre“ ist so ganz sicher nicht zu gewährleisten.

Ein beachtlicher Teil der Lehre in Kassel wird zudem über Lehrbeauftragte abgedeckt. Das sind Kolleg_innen, die auf Honorarbasis Seminare anbieten und dabei so dermaßen schlecht bezahlt werden, dass sie bei realer Berechnung ihrer Arbeitszeit weit unter Tarif und manchmal auch unter Mindestlohn bezahlt werden. Von diesen Kolleg_innen kann man jetzt wirklich nicht mehr erwarten, dass sie sich noch zur Nachbesprechung von Hausarbeiten treffen oder überlegen, wie sie einigermaßen gerechte Noten geben können.

Das ist alles Lehre am Fließband und für Lehrende wie für Studierende eine Zumutung.

 

Universitäten gehören, zumindest was den wissenschaftlichen Mittelbau angeht, nicht unbedingt zu den Hochburgen gewerkschaftlicher Organisierung. Wie hat das bei euch geklappt?

Nach dem Motto „Geht nicht gibt´s nicht“. Insbesondere der Mittelbau (wissenschaftliches Personal) gilt als nicht oder sehr schwer organisierbar. Die Leute pendeln wegen ihrer Befristungen quer durch die Republik und sind nur an wenigen Tagen zusammen an einem Ort und dann bereits im Dauerstress, sie identifizieren sich sehr stark mit ihrer Arbeit, sind häufig Einzelkämpfer_innen etc.

Aber wir haben es trotzdem versucht, und es funktioniert gut. Man muss relativ viel digital machen (z.B. Skypen) oder zwischen den Treffen kommunizieren, weil häufig nicht viele bei den Treffen dabei sein können. Aber wenn man weiß, dass das so ist, weil die Arbeitsbedingungen nun einmal so sind, ist das nicht frustrierend. Wir wissen, dass die AGs der Kampagne sehr gut laufen und hier eng zusammengearbeitet wird. Die beiden Gewerkschaften sind mit am Start. Wir machten gemeinsam gezielte Ansprachen von Kolleg_innen, bauen Patenschaften in den Fachbereichen und Instituten auf. Es ist anstrengend, macht aber viel Spaß, und es klappt gut.

 

Wie seid ihr bisher vorgegangen, um euren Forderungen Gehör zu verschaffen?

Im ersten Schritt geht es erstmal darum, Informationen zu streuen – einerseits an die Kolleg_innen mit der Nachricht: es geht auch anders, das was hier läuft ist absurd, stresst phänomenal und macht auf die Dauer krank.

Und vor allem: es kann geändert werden, wenn möglichst viele – auch Du – mitmachen. Wir müssen nicht in der Kaninchenstarre verharren und individuell die Ellenbogen rausfahren, sondern gemeinsam aktiv werden. Dabei lassen wir uns nicht spalten, sondern organisieren uns zusammen – ob da nun ein Doktortitel vor dem Namen rumschwirrt oder nicht, ist für uns nicht relevant. Es gibt so viele verschiedene Beschäftigungsverhältnisse an der Uni Kassel, aber was sehr viele eint, ist die direkte oder indirekte Betroffenheit von Befristungen.

Dann gilt es auch die Studierenden zu erreichen und zu sagen: Es ist nicht normal, dass die Betreuung für Eure Abschlussarbeit gerade leider nicht mehr da ist, ihr ein halbes Jahr auf die Korrektur eurer Hausarbeiten warten müsst, oder ihr Seminare bei didaktisch nicht weitergebildeten Dozent_innen besucht, weil diese nämlich keine Zeit dafür haben und keinen Anreiz– wieso fortbilden, wenn man sich doch gleich wieder `nen anderen Job suchen muss mit völlig anderen Anforderungen?

Das machen wir im kontinuierlichen Kontakt mit den Kolleg_innen und bauen das noch weiter aus, wir machen das bei Aktionen auf dem Campus und auf Veranstaltungen, wir machen das auf unserem Blog und bei Facebook.

Unsere Forderungen sind, sagen wir mal, weitreichend. Wir fordern schlicht die umfassende Entfristung des an der Uni Kassel beschäftigten Personals – mit Ausnahmen der Promovierenden. Bei denen aber eine deutliche Verbesserung der Promotionsbedingungen. Diese Forderung ist sozusagen die 180-Grad-Wende.

Wir müssen von den Bedarfen aus denken, nicht von den bürokratischen Hürden.

Ein zentraler Begriff in der ganzen Diskussion sind die so genannten Daueraufgaben. Dass diese auf unbefristeten Stellen erledigt werden sollten, wird vielfach geteilt. Allerdings ist die Definition von Daueraufgaben sehr offen. Wir sagen: Daueraufgaben sind schlicht jene Tätigkeiten, die für die Erfüllung der Kernfunktion der Universität – Forschung, Lehre und die jeweilige Verwaltung und Unterstützung dazu – notwendig sind. Und wir sehen: der überwiegende Teil der Kolleg_innen erledigt Daueraufgaben.

Die Uni spart freudig an unserer Befristung – neue Kolleg_innen werden beispielsweise immer möglichst weit unten in den Gehaltsstufen eingruppiert und bevor sie höher steigen, sind sie schon wieder weg. Vakanzen sparen jede Menge Geld und die Mehrarbeit durch fehlende Routinen, die Übernahme von Arbeit gerade Entlassener oder auch die Einarbeitung Neuer erfolgt meist unbezahlt oder verdichtet die Arbeit bis zum Burnout. All das ist eine Frechheit, die wir nicht mehr hinnehmen wollen.

 

Auf wen müsst ihr denn Druck ausüben?

Auf die Uni, sie verweist zwar immer auf die Landesebene, die die Gelder immer nur häppchenweise vergibt. In der Tat ist Hochschulpolitik vor allem Ländersache, und ja, die Gelder fließen so, als sei die Uni ein zeitlich befristetes Projekt und keine öffentliche Bildungseinrichtung, die es auch noch in 30 Jahren gibt.

Aber die Uni hat weit mehr Handlungsspielräume als sie vorgibt, und die Uni hat auch Einfluss auf diese Hochschulpolitik, sie ist nicht nur einfach ein bürokratisches Opfer. Wir müssen aus dem absurden Ping-Pong-Spiel herauskommen. In einem Spiel, in dem keine der politischen Ebenen zuständig ist, diese öffentliche Institution kontinuierlich so zu finanzieren, dass die Leute, die in ihr arbeiten, sich nicht wie auf einem Durchgangsbahnhof fühlen. In dem alle auf gepackten Koffern sitzen und in dem man zig Füße in allen möglichen anderen Türen haben muss, um nicht gleich wieder arbeitslos zu sein.

 

Welche Rolle spielen für eure Arbeit die Gewerkschaften an der Uni Kassel? Ich denke an die GEW und ver.di, beide sind ja im Hochschulbereich vertreten?

Wir haben von Anfang an ganz eng mit beiden Gewerkschaften gearbeitet. In der Kampagne sind, wie gesagt, selbst viele Gewerkschaftsmitglieder.

Wir sind keine Konkurrenz zu ver.di und GEW – wir haben ja „nur“ die eine Forderung nach umfassender Entfristung. Wir sind schlicht eine „Kampagne“. Die Gewerkschaften nutzen das Thema, um ihre Mitglieder stärker zu mobilisieren und selbst wieder aktiver zu werden und in die Offensive zu kommen.

Wir werden eingeladen, auf Gewerkschaftsversammlungen zu sprechen. Es läuft wirklich gut, auch ver.di und GEW arbeiten gut und kollegial miteinander. Die Kampagne gibt beiden Gewerkschaften die Möglichkeit, aus der friedlichen Koexistenz herauszutreten und nun enger an einem gemeinsamen größeren Projekt zusammenzuarbeiten.

 

Glaubst Du, Kolleg_innen an anderen Universitäten könnten von euch lernen? Was würdest Du ihnen raten, was wären die drei Regeln des Erfolgs?

Ich hoffe! Wir haben sehr viel von anderen gelernt, wir haben vieles, was für Industriebetriebe an Organisierungstechniken gedacht war, auf die Bedingung an der Uni übertragen, und wir hoffen, dass nun andere mit ähnlichen Arbeitsbedingungen – seien es Kolleg_innen an Bildungseinrichtungen oder anderen Bereichen mit stark fluktuierendem und pendelndem Personal und einer sehr „diversifizierten“ Belegschaft – von uns weiter lernen können.

Drei Regeln des Erfolgs? Hm... Noch haben wir den ja nicht, aber da wo wir jetzt sind, ist das schon ein ziemlicher Erfolg. Also...

Dran glauben (geht nicht gibt’s nicht!), gut kommunizieren (eine direkte, persönliche Ansprache ist tausendmal besser als 10 E-Mails, die im Orbit verschwinden; wenn immer wieder verschiedene Leute zu Treffen kommen, weil nunmal gependelt wird, muss besonders gut moderiert werden und Leute immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden etc.), unbedingt darauf achten, dass sowohl administrativ-technische Kolleg_innen als auch wissenschaftliche Kolleg_innen angesprochen werden und sich gemeinsam organisieren und tatsächlich strategisch vorgehen. Vierte Regel: vom (Zwischen-)Ziel aus planen.

Es gibt noch einiges andere, aber das sind vier wichtige Dinge, die es zu beachten gilt. 

Herzlichen Dank für die spannenden Ausführungen!

Site built with Simple Responsive Template